So, endlich ein bisschen Muße.
Wie bereits erwähnt, bin ich am Dienstag, gegen 18:30 Ortszeit, in Nottingham angekommen. Erschöpft, klar, aber sehr sehr glücklich. Auch klar. Gesund, glaube ich, was ich schon weniger selbstverständlich fand. Und gut durchgelüftet.
Und weil das ganze hier liogehtsgut, und nicht waslioaufderseelebrennt heißt, ein kurzes Update zum Status quo, bevor ich für den geduldigeren Leser (beziehungsweise, wahrscheinlich am meisten für mich selbst) ein weniger kurzes Fazit ziehe.
Ich schlafe derzeit bei Freunden, weiterhin im Schlafsack und auf der Isomatte, weil meine Gastgeber selbst erst letzte Woche eingezogen sind und noch keine Möbel besitzen. Von einem Billiard-Tisch abgesehen.
Bis ca. 10. Oktober, aber nicht viel länger, wird das auch so oder so ähnlich bleiben. Denn vor wenigen Stunden habe ich mit meinem alten und neuen Mitbewohner Vasilis zwei Wohnungen besichtigt, und davon eine (muss reichen) genommen (das Ganze ist hier ein wenig entspannter als in München). Ein ehemaliges Fabrikgebäude (vermutlich Raleigh Bikes, heißt das Ding doch Raleigh Square und befindet sich in der Raleigh Street), 15 Fuß (~4,50m) hohe Decken, zahlreiche, gigantische Fenster, und insgesamt… naja irgendwie schräg, ich liebe es. Die Miete ist im Rahmen, und das ganze ist bestens saniert sowie möbliert. Gäste sind sehr, sehr (, sehr) willkommen.
Ansonsten, naja, rollt glaube ich alles. Meine beiden Betreuer treffe ich die Tage jeweils zum Kaffee oder zum Mittagessen, offiziell fange ich erst am 1. Oktober an; In der Zwischenzeit werde ich mit ein paar Infoveranstaltungen und Vorträgen auf Trab gehalten, und bislang hat sich noch immer jemand gefunden um abends ein Bierchen zu trinken.
Unterm Strich würde ich also sagen, dass ich mich in relativer Sicherheit befinde, und dass es keinen Grund gibt, warum es aus meinem Leben in der nächsten Zeit mehr zu berichten geben sollte als das übliche Doktoranden-Gejammer, und den Kram den sowieso jeder ständig erlebt. Deshalb verbanne ich dann mein Tagebuch auch wieder unter meine 7-Zonen-Kaltschaummatratze (gefälligst), schließe ab mit diesem Blog, und verlagere meine Kommunikation wieder auf die weniger effiziente, aber umso wertvollere, persönliche Ebene. Skype, E-Mail, Whatsapp, und im Dezember dann gerne auch per Dosentelefon. Danke für eure Aufmerksamkeit (ich hab gestern gesehen dass es eine Besucher-Statistik gibt, und war doch positiv überrascht), und hoffentlich bis bald!
Ein paar Bilder noch (viele hab ich nicht, anhalten nervt; gut werden sie eh nicht), und dann ein bisschen Gelaber.
Fazit (Alternativ: Appendix, Gelaber, Und weil ich zu viel Zeit habe, To whomever it may concern)
Eine Frage die mir oft gestellt wurde, und die sich natürlich ein bisschen aufdrängt, ist die nach der körperlichen Belastung. Kurz gesagt: Es war knackig, aber ich habe es mir schlimmer vorgestellt.
Die Oberschenkel schmerzten ab dem zweiten Tag durchgehend, im Prinzip wie ein endloser, mittelschwerer Muskelkater (6-8 von 10 auf der Muskelkater-Skala). Am meisten gleich nach dem aufstehen, am wenigsten Mittags nach ein paar Stunden radeln, abends dann gerne wieder mehr, einfach wegen der akuten Erschöpfung.
Und Sitzen, klar, Sitzen macht irgendwann keinen Spaß mehr. Auf dem Höhepunkt der Schmerzen habe ich deshalb die Strecke Basel – Straßburg im stehen abgestrampelt, was wiederum die Sache mit den Oberschenkeln erst so richtig ins Rollen brachte. Diese Maßnahme, gefolgt von einem kompletten Ruhetag, hat allerdings Wunder am Gesäß bewirkt, und von da an hat das Problem nie wieder solche Dimensionen angenommen.
Das erstaunlichste Phänomen, mit dem ich konfrontiert war (und bin), waren aber nicht Schmerzen, sondern im Prinzip das Gegenteil: Taubheit. Seit der Basel-Straßburg-Nummer (im Stehen radeln -> viel Druck auf den Armen/Händen) sind einige meiner Finger taub, genauer die oberen zwei Glieder des Ringfingers und kleinen Fingers, links und rechts gleichermaßen, sowie Teile des Handballens. Laut Radlerforen und Wikipedia handelt es sich dabei um eine Reizung des Nervus ulnaris, dem gleichen Spaßvogel der für den allseits beliebten Musikantenknochen zuständig ist. Das Gefühl kommt wohl wieder, nach ein paar Monaten. Einstweilen kann ich mich damit trösten, dass ich weder Gitarrist noch Flötenspieler bin, und dass die Finger von innen nach außen ohnehin immer nutzloser werden (wenn die Handflächen nach unten zeigen). Außerdem fühlt es sich eigentlich ganz lustig an, ich drücke gern drauf rum.
Nach zwei Tagen stehe ich zwar noch auf wie ein alter Mann, aber doch wie ein circa zehn Jahre weniger alter Mann als nach nur einem Tag, und schätze, dass ich pünktlich zum Wochenende wieder die Beweglichkeit eines durchschnittlichen Endzwanzigers erreicht haben sollte.
Auch relativ oft diskutiert habe ich mit diversen Leuten im Vorfeld den “Jakobsweg-Effekt”, also die Frage nach den inneren Auswirkunge einer längeren Phase der Einsamkeit und Monotonie.
In dieser Hinsicht habe ich persönlich nie allzu viel erwartet, und das ganze war nicht gedacht als Selbsterkenntnis-Trip oder Ähnliches. Und so war ich dann auch nie verlockt, Momente des Unterzuckers mit Momenten der Erleuchtung zu verwechseln; ich kann mir vorstellen, dass das nicht selten passiert.
Klar, man hat viel Zeit zum Denken. Und dann denkt man viel. Das mag ein außergewöhnliches Erlebnis sein, wenn man zum Beispiel ein Investment-Banker ist, der nach sechzehn Stunden Arbeit für acht Stunden in ein traumloses Koma verfällt, nur um für die nächsten sechzehn Stunden die eigene Betriebstüchtigkeit sicherzustellen. Wenn du seit der Krabbelgruppe als Hans Guck-in-die-Luft bezeichnet wirst, und dir das letzte Jahr eine Drei-Tage-Woche genehmigt hast, fällt der Kontrast, denke ich, wesentlich weniger dramatisch aus.
Hinzu kommt, dass man, zumindest wenn man es handhabt wie ich es gehandhabt habe, konstant mit irgendetwas beschäftigt ist. Route checken, merken dass man sich verfahren hat, Weg wiederfinden, dann hat man Hunger, zehn Minuten später tut irgendetwas verdammt weh, dann muss man Wasser auffüllen, und kurz darauf hängt sich das Handy auf. Wer also meditieren möchte, der gehe in ein Kloster, oder wandern, oder ganz lange First-Class fliegen.
Was bleibt:
- Das gute Gefühl, etwas sehr mühsames erfolgreich hinter sich gebracht zu haben. Wer jemals eine Abschlussarbeit eingereicht oder einen Quartalsabschluss mitgemacht hat, oder wegen mir in voller Ski/Snowboard-Montur durch den Tiefschnee aus dem Wald stapfen musste, weiß genau wovon ich rede (d.i., jeder).
- Bestimmt irgendein Zugewinn an irgendwelchen Fertigkeiten, XP quasi, insbesondere in Sachen Frustrations- und Schmerztoleranz, sowie leider in manchen der Kategorien, die gerne von Motivationstrainern gebrüllt werden.
- Ein bisschen Landeskunde, ein bisschen mehr Orientierungssinn, vor allem ein stärkerer Wille zur Orientierung – zwei Wochen Verfahren sind eine Lektion fürs Leben.
- Ein paar halbspannende Anekdoten, von der Art, wie sie die eigenen Kinder irgendwann augenrollend mitsprechen können (Damals, Mitte der Zehnerjahre, allein im Rheindelta am Bodensee…).
- Wie jede Form der Abstinenz: eine größere Wertschätzung für all das, worauf ich verzichten ‘musste’. Zumindest vorübergehend, bis alles sowieso wieder selbstverständlich ist. Eh klar.
- Das Bewusstein, dass alles immer super läuft, überall. Diese Erkenntnis wurde ganz wesentlich geschmiedet durch den Umstand, dass ich in den 16 Tagen, die ich unterwegs war, nur alberne zwei Regentage hatte – den zweiten, und den vorletzten. Und auch da jeweils nur für ein paar Stunden. Danke an alle Verantwortlichen.
- Akut: bleierne Oberschenkel, taube Finger, und ein gesunder Landstreicher-Teint.